Alleine am Vinicunca, Peru's Rainbow Mountain
Als ich erstmals vom sogenannten Rainbow Mountain erfahre, einer spektakulären farbenfrohen Felsformation in den peruanischen Anden, bin ich sofort aus dem Häuschen. Dieser Ort sieht einfach zu unrealistisch aus, als dass er wirklich existieren könnte. Obwohl der 5200m hohe Vinicunca, unter Reisenden meist nur als Rainbow Mountain bekannt, lange vom Massentourismus verschont blieb, hat sich dies in den letzten Jahren offensichtlich stark geändert: In Cusco hat tatsächlich jede Reiseagentur den Tagestrip zum im Spanischen als Montaña de los Siete Colores (Berg der sieben Farben), Montaña Arcoiris (Regenbogen-Berg) oder einfach Montaña de Colores (Berg der Farben) bekannten Berg im Programm. Im Austausch mit anderen Reisenden wird mir schnell klar, dass sich das Trekking zum Aussichtspunkt auf die mineralreichen Gesteinsschichten mittlerweile zu einer Art Großevent entwickelt hat.
Durch die zunehmende Konkurrenz zwischen lokalen Reiseagenturen ist der Trip heute (Stand September 2017) mehr als erschwinglich. Mit rund 50 Soles ist man bereits dabei, inklusive Frühstück und Mittagessen. Da wir die Menschenmassen gerne umgehen würden, suchen wir nach Möglichkeiten den Berg zum Sonnenauf- oder Untergang zu besteigen. Leider haben alle Agenturen den Vinicunca nur als Tagestour im Programm. Gibt es nicht doch eine Möglichkeit Hin- und Rückweg separat an zwei verschiedenen Tagen zu buchen? Wir fragen uns durch. Nach vielen besorgten Gesichtern der AgenturmitarbeiterInnen und vielen Telefonanrufen später bekommen wir das okay. Am nächsten Tag soll es losgehen.
Mit dem Zelt am Vinicunca
In der Hoffnung auf einen verlässlichen Fahrer sparen wir nicht bei unserer Agentur und zahlen für hin und retour 75 Soles. Leider scheitert unser Plan hoffnungslos: Auch wenn wir von unserer Idee irgendwo zwischen 4500m und 5200m zu campen noch nicht ganz überzeugt sind, sind unsere Gedanken sehr bald vor allem darauf gerichtet, den Ausgangspunkt überhaupt lebendig zu erreichen. Auf den unglaublichen schmalen Straßen überholt unser Fahrer jedes mögliche Auto, jeden LKW und jeden Esel. Ich bin südamerikanische Fahrer gewöhnt, doch heute muss ich mich wirklich zwingen die Augen zu schließen. Die Abgründe am Straßenrand sind steil und unser Fahrer knallt hemmungslos mit Vollgas die engen Serpentinen hinauf.
Als wir nach etwa vier Stunden Fahrt tatsächlich das Dorf Pitumarca, den Ausgangspunkt der Wanderung, erreichen, machen sich alle um uns herum schnell auf den Weg, ja manche rennen förmlich los. Wir lehnen uns etwas zurück und beginnen dann langsam aber sicher bergauf zu wandern. Entlang des breit ausgetretenen Weges finden sich viele Kuppen und Mulden, die sich zum campen eignen. In einer breiten Mulde schlagen wir unser Zelt auf und ruhen uns ein wenig aus. Wir spüren die Höhe, alles passiert irgendwie in Slow Motion. Das Stimmengewirr der pilgernden Menschenmasse verkommt zunehmend zu einem Hintergrundgeräusch.
Plötzlich werden die Stimmen wieder lauter. Vor unserem Zelt steht ein Mann mit Radio in der Hand. Er ist ein lokaler Anwohner der lokalen Gemeinschaft. Er bittet uns entweder unten im Tal zu campen oder 20 Soles Gebühr zu bezahlen. Zwar kassiert die indigene Gemeinschaft bereits 10 Soles Eintritt pro Person bei der Ankunft der Tourbusse, dennoch bleibt der Großteil der Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft natürlich für die Agenturen. Wir unterhalten uns länger mit dem Mann und bemerken schnell, dass er gegenüber den Tourguides der Reiseagenturen sehr kritisch eingestellt ist. Diese würden ihrem Land häufig ohne jeglichen Respekt begegnen und es lediglich als eine kommerzialisierbare Touristenattraktion ansehen. Er ist sauer. Die Tourguides hätten keine Ahnung von ihrem Land und ihrer Kultur. Sie würden vor allem Lügen verbreiten. Für sie selbst bleibe in erster Linie der zurückbleibende Müll.
Plötzliche Ruhe
Gegen 15 Uhr sind alle Menschen um uns herum verschwunden. Der Lärm und das Gewusel sind vorüber und wir bleiben mit unseren Gedanken alleine zurück. Ein merkwürdiges Gefühl. Plötzlich hören wir den Wind und spüren die Höhe und Kälte. In wenigen Stunden von einer Ameisenstraße zum Niemandsland, jeden Tag aufs Neue. Da die Wolken zunehmend dichter werden machen wir uns bereits gegen 16.00 Uhr auf den Weg nach oben. Von unserem Zeltplatz auf 4800m sind es noch etwa 45 Minuten bis zum berühmten Aussichtspunkt gegenüber des Vinicunca. Der Ausblick von hier ist wirklich gigantisch: Wir stehen direkt gegenüber des Regenbogen-Bergs, fein säuberlich stapeln sich die unterschiedlichsten Gesteinsschichten aufeinander. Etwa eine halbe Stunde lang genießen wir das malerische Panorama, doch dann wird der Wind zu stark. Regen und Schneetreiben wechseln sich nun ab und zwingen uns zurück zu unserem Nachtlager. Zurück im Zelt lauschen wir glücklich dem Wind. Ich bin extrem platt, doch die Worte des Mannes gehen mir nicht aus dem Kopf: „Die Guides haben keine Ahnung von uns und unserem Land“. Der Wind arbeitet kräftig an unserem Zelt. Irgendwann schlafe ich ein.