San Miguel de Tucumán: Schweiß, Chaos und hervorragende Empanadas
Die Stadt San Miguel de Tucumán im Nordwesten Argentiniens kann man mögen oder auch nicht. Die meisten Touristen mögen sie nicht. Tucumán erschließt sich dem Reisenden weniger leicht als vielleicht Buenos Aires. Zugegeben, die Stadt ist chaotisch, laut und stinkt. In den Sommermonaten von Oktober bis April fühlt man sich in der 830.000 Einwohner-Stadt gerne mal wie in einem Ofen, aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit nicht selten auch wie in einem Ofen mit eingebauter Dampfgarfunktion. In Argentinien sind die Tucumanos zudem besonders berüchtigt für Diebstähle und Kleinkriminalität. Auf den ersten Blick versprüht Tucumán also wahrlich keine besonderen Reize.
Mittagshitze und Abendrummel
Mit der Hitze hatten meine argentinischen Freunde nicht übertrieben. Es ist Mitte März und bereits nach wenigen cuadras (Häuserblocks) bin ich klatschnass. Alles klebt, sogar die Schuhe an der Straße. Kein Wunder, dass die Siesta hier nach wie vor besonders zelebriert wird. Zwischen 13 und 17 Uhr sind hier die Bürgersteige hochgeklappt. Der Ballungsraum San Miguel de Tucumán hat etwa eine Million Einwohner, doch in der Mittagszeit ist fast kein Mensch zu sehen. Drei Männer spielen auf der Plaza Truco (das nationale Kartenspiel), ansonsten liegen nur ein paar Straßenhunde faul im Schatten. Ich flüchte in das nächstbeste klimatisierte Café und beschließe meine Erkundung später fortzusetzen.
Einige Stunden später ist das kommerzielle Zentrum rund um den Hauptplatz Independencia wie ausgewechselt. Zwischen schreienden Straßenverkäufern, Protestaktionen gegen die Regierung, knatternden Mopeds und jeder Menge hupender Taxis schlendere ich durch die Straßen. Wo an anderen Orten Argentiniens bereits Stoßstange an Stoßstange geparkt wird, versucht man die Parklücken in Tucumán noch ein wenig effizienter zu füllen. Hier ist tatsächlich jedes Auto verbeult. Fasziniert halte ich ein paar Momente fest und genieße den lauen Abend.
Authentisch und echt
Früh morgens erwacht die Stadt zum Leben. Während in den vielen Kaffeehäusern grauhaarige Männer tief in die hiesige Tageszeitung La Gaceta vertieft sind, herrscht auf den Straßen bereits geschäftiges Treiben. Ein bisschen verloren laufe ich herum und stoße immer wieder auf beeindruckende Gebäude im Kolonialstil. Am 9. Juli 1816 wurde in Tucumán die Unabhängigkeit Argentiniens ausgerufen. Seine strategisch günstige Lage und der prosperierende Zuckerrohranbau verhalfen der Stadt bald zu großem Reichtum. Das architektonische Erbe dieser Zeit ist heute, halb erhalten – halb verfallen, noch überall in der Stadt zu sehen.
In den ersten Jahren 20. Jahrhunderts wurde im Stile der großen Parks von Paris oder London der Park 9 de Julio eröffnet, eine 400 Hektar große Grünfläche im Herzen der Stadt. Zwar sollte man hier nach Einbruch der Dunkelheit nicht unbedingt alleine herumstreifen, doch am späten Nachmittag sprudelt der Park nur so vor Leben. Während ein paar Kids in einem Tümpel des Parks baden, sitzen die Älteren daneben und angeln. Unzählige Gruppen sitzen mit Picknick im Gras und trinken Mate, trainieren in Gruppen oder spielen Fussball. Natürlich wird auch hier verkauft. Ob Obst, Gemüse, Uhren, Socken oder Elektroartikel – es gibt kaum etwas, dass man in den Straßen rund um den Park 9 de Julio nicht kaufen könnte. Gesetze zur Kinderarbeit gelten hier nicht, jedes Familienmitglied packt mit an. Es ist offensichtlich, dass Tucumán heute zu den ärmsten Städten des Landes gehört.
Gastfreundschaft und erstklassige Empanadas
San Miguel de Tucumán ist sowohl abstoßend als auch faszinierend. Beim ersten Besuch habe ich die Stadt nicht wirklich ins Herz schließen können, doch das änderte sich bald. Aufgrund meines Visums war ich gezwungen mehrfach wiederzukommen. Zum Glück! Während ich bei meinem ersten Besuch noch ein wenig überfordert war, zog mich die Stadt bald auch mit ihrer kaum beschreibbaren Faszination in ihren Bann. Die Tucumanos sind extrem freundliche und unglaublich offene Menschen. Wenn man mit dem Taxi mal wieder im Stau feststeckt erzählen einem die Taxifahrer gerne gleich ihre gesamte Lebensgeschichte.
Der Trubel, das Chaos, die Menschen. Hier wirkt einfach alles echt. Manchmal zu echt, aber das ist wohl der Reiz dieser Stadt. Sollte man San Miguel nun auf seiner Reiseroute durch Argentinien berücksichtigen? Die Stadt gewinnt vielleicht keinen Schönheitspreis, aber auf jeden Fall den ersten Platz auf der Authentizitätsskala. Besonders überzeugen konnte mich Tucumán auch bei den Empanadas. Wer genau so auf die argentinischen Teigtaschen abfährt wie ich kommt in Tucumán voll auf seine Kosten. Nach gründlicher Recherche (ich habe wirklich alles gegeben!) belegen die Empanadas in dem winzigen Lokal La Empanada den ersten Platz in meinem persönlichen Empanada-Ranking. Das Lokal ist nicht viel größer als ein Schuhkarton, so dass man hier oftmals bis auf die Straße in der Schlange steht. Mein Fazit: Für einen Zwischenstopp lohnt sich San Miguel de Tucumán allemal.
Für eine günstige Übernachtung in San Miguel de Tucumán empfehle ich das Hostel del Centro (San Martín 218). Ein beeindruckendes Gebäude im Kolonialstil, etwa 2 Blocks von der Plaza Independencia entfernt. Die Mitarbeiter sind super freundlich.