Die E-Mobilität und die Idee des grünen Wachstums

 

Diesen Beitrag habe ich ursprünglich für das Magazin Matices - die Zeitschrift zu Lateinamerika, Spanien und Portugal geschrieben.

Seit ich die sozial-ökologischen Auswirkungen des Lithium-Bergbaus in Südamerika vor einigen Jahren zu meinem Forschungsgegenstand erklärte, habe ich die Frage, ob man denn nun guten Gewissens ein E-Auto kaufen könne, immer wieder gehört. Die Unsicherheit der Menschen fußt auf zahlreichen Berichten über Wasserverbrauch und Konfliktsituationen bei der Rohstoffgewinnung. Abseits der Wissenschaft wird auch in Fernsehdokumentationen und Zeitungsartikeln immer wieder von dem enormen Wasserverbrauch des Lithium-Bergbaus inmitten der chilenischen Atacama-Wüste oder von Widerstandsbewegungen wie in den argentinischen Salinas Grandes berichtet. In vielen Fällen sieht sich die lokale – meist indigene – Bevölkerung gezwungen, ihre traditionellen wirtschaftlichen Aktivitäten, darunter beispielsweise die halbnomadische Weidewirtschaft, Tauschhandel, Subsistenzlandwirtschaft und Salz-Extraktion, aufzugeben und sich in direkte Abhängigkeit eines globalisierten Arbeitsmarktes zu begeben. Indigene Rechte werden dabei missachtet und kollektiv genutztes Gemeindeland verdrängt.

 
 

“Wasser ist mehr wert als Lithium”. Proteste gegen den Lithium-Bergbau. Salinas Grandes, April 2019

 
 
 

Konflikte bei der nachhaltigen Rohstoffgewinnung

Doch diese Konfliktkonstellationen sind nicht allein auf Lateinamerika beschränkt. Für die Europäische Union ist Rohstoffunabhängigkeit gegenüber Drittländern ein geopolitisches Interesse. Seit 2017 wird deshalb im Rahmen der European Battery Alliance der Aufbau einer europäischen Wertschöpfungskette für Batteriezellen angestrebt. Dabei soll auch die Importabhängigkeit von „kritischen Rohstoffen“ reduziert werden (Lithium wird derzeit zu 86% importiert, 66% der Importe stammen aus Chile). Während der Lithium-Rausch Südamerika längst erreicht hat, rücken in diesem Zuge die Rohstoffvorkommen im Norden Portugals und Spaniens zusehends in den Fokus.

Vor Ort wiederholen sich die aus Ländern wie Argentinien bekannten Diskurse: Innerhalb der portugiesischen Regierung wecken die Lithiumvorkommen Hoffnungen auf Investitionen, Exporteinnahmen, Wertschöpfung und Wirtschaftswachstum. Auch sei der Lithium-Bergbau eine Chance, das strukturschwache „Hinterland“ zu entwickeln. Doch auch hier regt sich Widerstand. In verschiedenen Regionen entstanden in kürzester Zeit Widerstandsbewegungen, welche – meist über die sozialen Medien organisiert – zu kollektiven, teilweise grenzüberschreitenden, Protestaktionen aufriefen[1]. Die Konfliktsituationen in Argentinien und Portugal verdeutlichen deshalb nicht nur ungleiche Nord-Süd Verhältnisse, sondern zeugen auch von ausgeprägter Ungleichheit innerhalb unserer Gesellschaften. Sie sind Beispiele für neue Ressourcenkonflikte im Kontext einer globalen Nachhaltigkeitswende.

 
 

Eine Lithiummine in der Provinz Jujuy, im Nordwesten Argentiniens gelegen. Salar de Olaroz-Cauchari, August 2018.

 
 

Die E-Mobilität und der Techno-Fix

Die E-Mobilität soll vor allem einen Beitrag zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft leisten. Sie reiht sich damit in eine Reihe weiterer technologischer Lösungen ein, die von privatwirtschaftlichen und institutionellen Akteuren wie der EU, der Weltbank und dem IWF zur Lösung für die Klimakrise propagiert werden. Sie ist damit ein gutes Beispiel für den „Techno-Fix“, die Vorstellung alle großen Probleme der Menschheit könnten mit technologischen Ansätzen gelöst werden. Während neue „grüne“ Technologien zur Überwindung der ökologischen Krise durchaus neue Wachstumspotenziale schaffen, erhöht sich auch die Nachfrage nach Rohstoffen, insbesondere Metallen. Jenseits materieller Rebound-Effekte geht von der Gewinnung dieser Rohstoffe auch eine starke Legitimationswirkung aus. Gegenwärtige politische Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels führen also zu Veränderungen beim Zugang zu Land, Wäldern und Wasser und zur Akzeptanz von Umweltzerstörung und Wasserverbrauch „im Namen des Klimaschutzes“.

Die E-Mobilität, und damit auch der Lithium-Bergbau, lässt sich vor diesem Hintergrund zwar nicht als per se schlecht, jedoch auch nicht als per se gut bewerten. Während die E-Mobilität einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise beitragen soll, ist die gegenwärtige Produktion von leistungsstarken E-SUVs und die Umstellung der gesamten Fahrzeugflotte auf Elektroantrieb vor allem ein neuer Wachstumsmarkt für die Automobilindustrie. Die E-Mobilität dient also in erster Linie einem Erhalt des Status Quo und stellt eine Scheinlösung für ein viel weitreichenderes Problem dar.

Tatsächlich lässt sich der Klimawandel nicht als isoliertes Problem betrachten, sondern ist zweifelsohne mit weiteren Krisendimensionen der Gegenwart verflochten (zum Beispiel Biodiversitätsverlust, Ressourcenknappheit, Pandemien, soziale Ungleichheit, Wirtschafts- und Finanzmarktkrise, rechter und rechtsradikaler Populismus, etc.). Manche Sozialwissenschaftler:innen sprechen deshalb auch von einer „multiplen“ oder gar „zivilisatorischen“ Krise. Der Austausch einer Antriebsart bietet dabei weniger eine langfristige Lösung, sondern verstetigt vielmehr das, was Ulrich Brand und Markus Wissen als „imperiale Lebensweise“ bezeichnen[2]. Ohne einen weitreichenden sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft werden sich diese Krisendimensionen deshalb nicht lösen lassen. Ein Umbau, welcher Machtasymmetrien, ungleiche Verteilung und die Privilegierung von Eliten auflöst und Nachhaltigkeit zum Produkt gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse werden lässt.

Während technologische Innovationen wie die Elektromobilität durchaus ein wichtiges Puzzleteil in einem umfangreich angelegten Transformationsprojekt darstellen können, versperren sie bislang meist den dringend benötigten Blick auf soziale Innovationen und gesellschaftliche Lösungen. Auf die eingangs erwähnte Frage lässt sich vor diesem Hintergrund nur antworten, dass es sich dabei um die falsche Frage handelt. Eine echte Mobilitätswende bedarf vielmehr einer Stärkung des Fahrrad- und des öffentlichen Nahverkehrs. Statt Luxus-E-Mobile mit Umweltprämien zu bezuschussen, sollte das Ziel lauten: Nicht mehr Elektro, sondern weniger Autos [3].

Zum Weiterlesen
[1] Dorn, Felix M. (2021): Inequalities in resource-based global production networks: resistance to lithium mining in Argentina (Jujuy) and Portugal (Região Norte). Journal für Entwicklungspolitik 37(4): 70-91.

[2] Brand, Ulrich & Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise – Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom.

[3] Dorn, Felix M. (2021): Es geht nicht um mehr Elektro-, sondern um weniger Autos. Die Presse.