Trampen in Südamerika: Per Anhalter zwischen Argentinien und Chile

Es ist der erste April 2019. Ich stehe auf 4400 Metern am Paso de Jama und diskutiere seit etwas über einer Stunde mit dem zuständigen Zollbeamten der argentinischen Steuerbehörde. Er tue was er könne, versichert er mir. Zusammen mit einem Kollegen nehmen sie mein Auto gehörig auseinander. Die wenigen Schrauben die es zwischen Plastikverkleidung und Blech noch gibt werden entfernt. Mit langen Lampen suchen sie in jedem Spalt nach… ja nach was eigentlich? Nein, sie könnten nichts für mich tun, ich hätte nun einmal keinen festen Wohnsitz in Argentinien angemeldet.

Letztlich ist es kein Aprilscherz, ich komme mit meinem eigenen Auto nicht über die Grenze. Für diesen Teil meiner Südamerika-Reise will mich mein Bruder Lukas besuchen. In nur vier Tagen kommt er am Flughafen Calama in Chile an. Frustriert sitze ich an der Tankstelle im Bergdorf Jama und überlege wie es weitergehen kann. Diese ist neben der einzigen Tankstelle auch der einzige Wlan-Spot in weit über 100 km Umkreis.

Mit dem eigenen Auto durch die Wüste? Unterwegs zwischen Vulkanen, beeindruckenden Schluchten, Sanddünen und Geysiren? Das klingt erst einmal aufregend, ja fast ein bisschen zu schön um wahr zu sein. Kurzfristig verliere ich den Glauben daran. Im Laufe des Nachmittags fasse ich dennoch einen Entschluss, es muss auch anders gehen. Am nächsten Morgen stehe ich bereits früh an der Straße, auf meinem Pappschild steht „Chile“.

 
 

Schöne Bekanntschaften

Motiviert stelle ich mich an die Ruta Nacional 52. Die Straße ist in der Region die Hauptverkehrsader zwischen Argentinien und Chile, den nächsten asphaltierten Pass erreicht man erst rund 1800 km weiter südlich auf der Höhe von Mendoza-Santiago. Hier und da kommt ein LKW vorbei, ab und zu ein Pick-Up. Die meisten sind unterwegs zu den Lithium-Bergbauprojekten etwa 50 Kilometer westlich gelegen. Gegen 10 Uhr hält endlich ein Pick-Up. Ein Mann aus dem Nachbardorf. Er signalisiert mir, ich solle meine Sachen auf die Ladefläche werfen. Die Rückbank ist überhäuft mit frisch gebackenem Brot. Beim Einsteigen fühle ich mich wie in einer Bäckerei. Er nimmt mich mit bis zum Grenzposten des Paso de Jama, da er dort die Grundschule mit Brot beliefert.

Motiviert steige ich aus, versuche den ersten Kontrollposten schnell hinter mir zu lassen, und werde abermals schnell gestoppt. „Halt!“ ruft ein Militär bereits nach wenigen Schritten und fuchtelt wild mit einem nicht identifizierbaren Wimpel. Fußgängern sei es nicht erlaubt hindurch zu gehen, auf der anderen Seite warte schließlich über 200 km Wüste auf einen. Das sehe ich ein, ausnahmsweise einmal eine sinnvolle bürokratische Regelung. Er werde aber bei den nächsten Autos für mich nachfragen ob sie für ihre Grenzkontrolle einen Platz für mich hätten.

Auch wenn die Gruppe Jungs auf den ersten Blick nicht besonders begeistert wirkt, nehmen sie mich mit zu ihrer Kontrolle. Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut und bald bieten sie mir an mich auch den Rest der Strecke bis nach San Pedro de Atacama mitzunehmen. Die Jungs sind selbst unterwegs für ein internationales Rennen mit ferngesteuerten Autos. Die Fahrt ist witzig, wir lachen viel und tauschen Nummern aus. Am frühen Nachmittag komme ich in San Pedro de Atacama an. Wüstendorf und Backpacker-Oase in einem. Es gibt kaum etwas, das man hier nicht bekommt. Also alles gar kein Problem mit dem trampen?

 
Mit einem peruanischen LKW-Fahrer geht’s zurück nach Argentinien.

Mit einem peruanischen LKW-Fahrer geht’s zurück nach Argentinien.

 

Unter Peruanern

Einige Wochen später muss ich zurück nach Argentinien (zu unserem Roadtrip-Video der Zwischenzeit geht es hier). Um 6.30 Uhr morgens laufe ich vor zur Hauptstraße. In der Ferne ist eine LKW-Kolonne zu sehen. Die chilenische Gendarmería schließt hier in den Winter-Monaten morgens die Straße mit einer Schranke. Oben gäbe es häufig Blitzeis und viento blanco (weißen Wind). Genug Zeit also um mit ein paar wartenden Menschen zu sprechen. LKWs in einer Kolonne sind häufig wenig begeistert über MitfahrerInnen. Ich lasse mich zu den Chefs bringen und versichere, dass ich vor der Grenze aussteigen würde. Sie wirken nachdenklich, nicken jedoch vorsichtig. Kaum zugestimmt, melden sich gleich mehrere aus der Gruppe, dass ich in ihren Trucks ohne Probleme mitfahren könnte.

Wenige Minuten später finde ich mich in einem alten Truck aus den 1970er-Jahren wider. Der Motor braucht bis er anspringt und die nächsten 2000 Höhenmeter kriechen wir im gefühlten Schritttempo aufwärts. Bei dem Lärm ist es schwierig sich zu unterhalten, doch er drückt mir immer wieder sein Handy in die Hand um ihn zu filmen. Bei jeder Gelegenheit schicke er Videobotschaften an seine Familie in Peru. Bereits seit 20 Jahren sei er LKW-Fahrer, er habe keine Ahnung was er transportiere, aber die Bezahlung sei in Ordnung. Nur kalt sei es, vor allem nachts. Hinter uns liegt eine dünne Matratze mit einer noch viel dünneren Decke. Ob er von den nächtlichen Temperaturen im Altiplano weiß? Ich verwerfe den Gedanken und schaue aus dem Fenster. Irgendwie genieße ich die Erfahrung. Wann sonst hat man die Gelegenheit mal das Leben eines Truckers kennenzulernen. Vielleicht kann ich mich mit dem trampen tatsächlich anfreunden.

 

Wo die Sonne brennt

An der Grenze ist dann Schluss. Die Ladung der LKWs muss kontrolliert werden, das dauert. Wahrscheinlich fahren sie erst morgen weiter Richtung Jujuy. Ich muss also eine andere Möglichkeit finden zurück nach Susques zu kommen. Nach der Grenze stehe ich auf Höhe der Tankstelle. Immerhin bekomme ich hier etwas kühles zu trinken. Etwa 1 ½ Stunden später bietet mir ein junger Mann aus dem kleinen Dorf Olaroz Chico mir an, mich bis an die Kreuzung des Salar de Olaroz mitzunehmen. Natürlich willige ich sofort ein und quetsche mich auf die Rückbank zu Oma, Tante, Mama, Frau und Kind. Während er mich neugierig mit Fragen löchert sitzen die Frauen schüchtern und mit viel Coca im Mund neben mir. Ab und zu grinsen sie mich vorsichtig an. Die Fahrt ist spannend, und an dieser Kreuzung würden nun jede Menge Autos vorbeikommen, versichert der junge Mann mir. Wir verabschieden uns freundschaftlich und ich stelle mich erneut an die Straße.

Dies wird die letzte Etappe, das nächste Auto fährt sicher bis nach Susques. Doch es kommt kein Auto. Ein paar wenige Pick-Ups rauschen an mir vorbei. Ich verstecke mich im Schatten des einzigen Straßenschilds weit und breit und beginne jedes Flackern in der Ferne zu deuten. Es ist kalt, aber die Sonne ist aggressiv. Das andine Hochland ist ein Ort an dem die Sonne immer brennt, aber wenig wärmt. Ich weiß wie schnell man hier dehydrieren kann. Als die Sonne schon tief steht beginne ich nervös zu werden. In 30 Minuten ist Sonnenuntergang, danach habe ich wirklich ein Problem… Nächtliche Temperaturen von -20 Grad oder weniger sind in dieser Gegend keine Seltenheit. Ich denke an die schönen Erfahrungen des trampens, die schönen Bekanntschaften und die vielen Eindrücke. Trampen ist klasse, aber man sollte die Gefahren gut abwägen. Ich habe einen Kloß im Hals und Kopfschmerzen von der Sonne. Endlich hält ein Auto.

Suchst du konkrete Tipps zum trampen in Südamerika? Dann schau zum Beispiel mal bei Planet Backpack vorbei.