Neuer Artikel zu Territorialität und sozial-ökologischen Konflikten in DIE ERDE - Journal of the Geographical Society of Berlin
Ende März ist mein Artikel “Changing territorialities in the Argentine Andes: lithium mining at Salar de Olaroz-Cauchari and Salinas Grandes” in DIE ERDE - Journal of the Geographical Society of Berlin erschienen. Der Beitrag bildet gewissermaßen den Kern meiner empirischen Analyse zu sozial-ökologischen Konflikten im Rahmen des Lithium-Bergbaus in Nordwest-Argentinien. Konkret gehe ich dabei der Frage nach, warum zwei Regionen (die zudem unmittelbar nebeneinander liegen) so unterschiedlich auf den Bergbau als neue Akteur*in reagieren.
Unterschiedliche Reaktionen
Bei meinen ethnographischen Feldforschungsaufenthalten in der Region - insgesamt habe ich in den indigenen Gemeinschaften des andinen Hochplateaus knapp 10 Monate verbracht - habe ich sehr gegensätzliche Reaktionen auf den Bergbau in verschiedenen Gemeinschaften festgestellt. Während die 10 indigenen Gemeinschaften im Einzugsgebiet des Salar de Olaroz-Cauchari beispielsweise mit den Bergbaufirmen kooperieren, kommt es im Einzugsgebiet der Salinas Grandes immer wieder zu Ausschreitungen und Protesten. Warum ist das so? In diesem Artikel versuche ich genau diese Frage mit dem Konzept der Territorialität zu untersuchen.
Was bedeutet Territorialität?
Bevor ich dazu komme, meine Ergebnisse aufzuzeigen, ist eine weitere Frage sehr zentral: Was bedeutet eigentlich Territorialität? Leider ist das Konzept der Territorialität kein ganz triviales, denn dieses hängt eng mit dem Begriff des Territoriums zusammen. Wir alle verwenden den Begriff Territorium umgangssprachlich für ein bestimmtes geographisches Gebiet, meistens mit Bezug auf tatsächliche “Grenzen”. Tatsächlich ist der Begriff Territorium ein sehr stark polysemischer. Je nach akademischer Disziplin, historischem Zeitabschnitt oder unterschiedlichem Sprachraum verbirgt sich etwas vollkommen anderes dahinter.
Während der englische Begriff territory am ehesten unserer Alltagsauffassung entspricht, beinhaltet der franzöische Begriff territoire einen sehr sozialen Fokus. Hinter territoire verbirgt sich Territorium als gelebter Raum, der alle Formen des sozialen Handelns mit einschließt. Territoire resultiert also aus sozialen Praktiken und Erfahrungen und ist somit sozial konstruiert. Die indigenen Völker der Anden verstehen territorio hingegen als ein pluralistisches Konzept, welches alle Lebewesen, die Erde sowie immaterielle Dimensionen (z.B. auch spirituelle Kräfte) vereint und beinhaltet. Diese ganzheitliche Sichtweise spiegelt sich in der tiefen Verehrung für Pachamama (Mutter Erde) wider, wobei alle Lebewesen in Beziehung zueinander leben. Dabei ist der Begriff des territorio mehr und mehr zu einem Begriff des Widerstands, einem Werkzeug der Mobilisierung und den Kampf sozialer Bewegungen geworden.
Territorialität ist nun noch etwas abstrakter zu verstehen. Delaney betont, Territorialität ließe sich verstehen als „implicating and being implicated in the ways of thinking, acting, and being in the world – as ways of world-making informed by beliefs, desires, and culturally and historically contingent ways of knowing. It is as much a metaphysical phenomenon as a material one.” Mit anderen Worten: Das Territorium resultiert aus der Territorialität. Territorien sind daher gleichermaßen als soziale, als auch als historische Produkte zu verstehen. Territorialität bezieht sich also auf die materielle, diskursive und performative Produktion von Territorium. Territorium ist somit immer auch ein soziales Konstrukt, welches durch Aushandlungsprozesse entsteht. Gerade deshalb ist das Konzept der Territorialität also geeignet, um (subjektive) Bewertungen und Wahrnehmungen zu analysieren.
Alles Eine Frage der Territorialität?
In einem lateinamerikanischen Kontext lässt sich die Überlappung verschiedener Territorialitäten sowohl im Rahmen der Kolonisierung als auch in jüngsten Kämpfen um Land und Ressourcen beobachten. Wenn Territorien als soziale Konstruktionen verstanden werden, lässt sich die Bedeutung von Territorien als essentielle Elemente kultureller Identifikationsprozesse verstehen und hervorheben. Vor diesem Hintergrund komme ich in meinem Artikel zu der Argumentation, dass Prozesse des Widerstands nicht nur Territorien definieren und schaffen, sondern auch Prozesse der individuellen und kollektiven territorialen Identifikation verstärken.
Genau das ist (historisch) in den Gemeinschaften der Salinas Grandes passiert. Natürlich gibt es hier auch alternative wirtschaftliche Aktivitäten (wie z.B. den Tourismus oder die Salzarbeit), doch in den aktuellen Konflikten geht es um mehr als das: Der Widerstand gegen den Lithium-Bergbau ist die Fortsetzung eines (historischen) Kampfes um Selbstbestimmung, Anerkennung und Rechte. Dieser “Kampf” begann mit der sowohl spanischen als auch nationalen Kolonisierung der Region und setzt sich heute als “neo-kolonisierung” mittels der Inkorporation in globale Wertschöpfungsketten fort.